Die Geschichte von Tübingens (zweit)-berühmtester Buchhandlung, damit auch ein Beitrag zur Tübinger Stadt- und Universitätsgeschichte (Bloch!) und ein Bericht über das Leben zweier außergewöhnlicher Frauen.
»Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!« Ernst Bloch über »seine« Buchhandlung Gastl
1949 gegründet, eingerichtet in den Räumen einer vormaligen Gaststätte, konnte man sich schon beim Betreten der Buchhandlung Gastl in Tübingen dem besonderen Fluidum kaum entziehen. Sie wirkte wie eine alte Bibliothek. Die beiden Inhaberinnen, Fräulein (!) Julie Gastl und Frau Dr. Gudrun Schaal, beide ebenso hochgebildet wie eigensinnig, zugleich erhaben über jeden Dünkel, nahmen viele der dazumal erlauchtesten Geister für sich ein. Ihr Einfluss war nicht zu unterschätzen. Julie Gastl galt als Institution, war ein »Kommunikationstalent sondergleichen«, reichlich begabt mit Geist, Charme und Humor und auch, wenn nötig, der notwendigen Entschlossenheit, dem Nachdruck zu verleihen, was sie für richtig und wichtig befand.
Auch über Berufungsfragen und Universitätspolitik wurde bei Gastl gelegentlich verhandelt. Ansonsten konnte hier ebenso der »Weltgeist wehen« wie auch lautes Gelächter aus dem »Allerheiligsten« dringen, wo um einen kleinen Tisch die drei legendären alten Ledersessel standen, auf denen sich im Lauf der Jahrzehnte viele bekannte, ja berühmte Persönlichkeiten niedergelassen hatten: Brinkmann, Harpprecht, Jens, Jüngel, Mayer, Moltmann, Schadewaldt und Carlo Schmid, nur beispielsweise … Und einer von ihnen aber wurde ganz besonders verehrt: Ernst Bloch. Er lud in GASTLs WELT gar zum Privatissimum ein.
Damals schon legendär, droht dreißig Jahre nach dem Ausscheiden der beiden Gründerinnen die Realität ins Sagenhafte zu entschwinden. Heinz Rademacher hat sie in dieses Buch zurückgeholt. Sie ist erstaunlich genug.
Ein paar Stimmen zu Gastl:
»Gastl, eine Hochschule für alle Wissenschaften!« Friedrich Pfäfflin
»In der Tat, hier streckte der Weltgeist mitunter die Beine unter das Teetischchen und machte sich’s bequem.« Klaus Harpprecht
»Julie Gastl war ein Kommunikationstalent sondergleichen. Und wenn die Kommunikation glückte, dann war der gelebte Augenblick voll von Licht. (…) Dann umspielte sie selber ein Charme, wie er Menschenkindern nur selten gegeben ist.« Eberhard Jüngel
»Nirgendwo sonst kann man seinen Gedanken so espritbestimmt nachgehen wie in diesem Zauberreich, nur hier die Räumlichkeiten nutzen, um ins Offene aufzubrechen.« Walter Jens
»Hier bei Gastl trafen sich im Geist der reizvollen Gespräche Hegel und Hölderlin, Schelling und Marx, Paul Celan und Ingeborg Bachmann, Karl Barth und Rudolf Bultmann und viele andere. (…) Und wenn man niemanden antraf, den zu treffen man gehofft hatte, hing ›in der Theologie‹ immer noch der Rauch von Blochs Pfeife. Seinschrecklicher Knaster hatte noch unnachahmlichen und langanhaltenden Nachgeschmack.« Jürgen Moltmann